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Sekundärer Krankheitsgewinn - Amy - 07.12.2012 Sekundärer Krankheitsgewinn Zur Unterscheidung von primärem, sekundärem und terziärem Krankheitsgewinn siehe Wikipedia. „Der sekundäre Krankheitsgewinn besteht in den äußeren Vorteilen, die der kranke Mensch aus bestehenden Symptomen ziehen kann, wie den Zugewinn an Aufmerksamkeit und Beachtung durch seine Umwelt, die Möglichkeit, im Bett bleiben zu können und dort die Nahrung serviert zu bekommen.“ Dass man aus einer Krankheit "Gewinn" zieht ist auf den ersten Blick eine ausschließlich kränkende und verletzende Behauptung! Jeder wäre doch am liebsten gesund, und auf ein Trauma kann man erst Recht dankend verzichten! Doch was wäre, wenn mir heute mein Trauma weggezaubert werden würde durch die gute Fee aus unserer Spieleecke, die gute Fee, die diesmal nicht gemein wäre. Was wäre denn dann? Eine interessante Frage mit interessanten Konsequenzen. Krank sein bringt tatsächlich auch Vorteile, das geht schon bei einer Grippe los, z.B. damit, dass man im Bett bleiben darf und umsorgt wird. Man kommt Zuwendung, Zuspruch und ein erhöhtes Maß an Mitgefühl und Aufmerksamkeit. Das ist natürlich grundlegend wichtig und notwendig um den Heilungsprozess zu fördern. Hieraus ergibt sich allerdings auch die Gefahr und Möglichkeit (nicht zwingend!) des Krankheitsgewinns. Ich habe hier aus Sicht des Forumsbetreibers etwas zum sekundären Krankheitsgewinn zusammengefasst, wie ich ihn teilweise auch aus eigener Erfahrung heraus kenne, und ich möchte alle diejenigen die das möchten, hiermit einladen, sich mal selbst kritisch zu hinterfragen, ob und welche Vorteile sich neben den unzweifelhaft starken belastenden Auswirkungen ihrer Krankheit möglicherweise auch durch die Nutzung des Forums ergeben. Sich selbst hier zu reflektieren kann eine Chance zur Weiterentwicklung sein, auch wenn man gerade besonders tief im Traumasumpf feststeckt und nicht mehr weiter kommt. Es kann eine Chance sein sich dem zu nähern, worum es wirklich oder eigentlich gehen würde. Provokative Fragen hierzu sind: Was tue ich eigentlich selbst (auch unbewusst), um nicht gesund zu werden? Wo verschafft mir meine Erkrankung und auch mein traumatisiert sein Vorteile, die ich nicht aufgeben möchte? Oder anders formuliert: Wo stehe ich mir selbst im Weg? Was, wenn mein Trauma weg wäre und ich auf einmal "normal" leben könnte, und - müsste? Das ist ganz schön hart mit sich selbst so ins Gericht zu gehen, aber es ist gleichzeitig eine Möglichkeit, einen neuen Blickwinkel einzunehmen, um eine Veränderung zum Guten hin anzustoßen. Auch die Beteiligung an einem Forum wie diesem hat ein paar Stolperfallen aufzuweisen, was den konstruktiven Umgang mit seiner Erkrankung angeht. Diese möchte ich -aus meiner Sicht- gerne benennen. In einem Forum wie hier kann man offen sagen wie es einem geht. Wir haben einen sicheren, vertrauensvollen Rahmen, wir gehen sehr vorsichtig und lieb miteinander um. Es gibt geschützte Bereiche, Behutsamkeit und Sicherheit werden hier mit Recht und aus Überzeugung sehr groß geschrieben und das ist auch vollkommen richtig so. Man erzählt hier "seine Geschichte", man wird verstanden, findet endlich jemand dem es auch so geht, trifft manche die sogar weiter sind und die einen auffangen können. Endlich muss man sich nicht mehr verstellen und rechtfertigen für seine Gefühle, Ängste und Nöte. Es gibt da jemanden der sich für einen interessiert, und wenn man abstürzt kommen besorgte Nachfragen. Das ist gut und richtig so und ich bin stolz auf unsere Forengemeinschaft, ich freue mich auch über die vielen "Real-Life -Kontakte" die über das Forum schon entstanden sind. Ich bin ebenso stolz auf die vielen Tipps und Hilfestellungen die wir uns hier gegenseitig geben und ich hoffe sehr, dass wenn ich sage, man hat durch ein Trauma auch Vorteile, dass keiner das als "Du hast Deine Traumata nur, damit Du diese Vorteile hast", versteht. Dann hätte ich mich völlig falsch ausgedrückt. Viele lernen hier mit der Zeit erstmals das zu nehmen was sie früher nie bekommen haben. Man erfährt Aufmerksamkeit, endlich Zuneigung, endlich Verständnis, endlich auch die Erlaubnis schwach sein zu dürfen. Helfende Hände, offene Ohren. Es findet Bezeugen statt, nachträglich wird bezeugt was man erleben musste, und hierbei hat man die Sicherheit, niemandem zuviel zuzumuten, weil einfach jeder hier in der Kindheit größere Probleme hatte als das, dass er im Sandkasten nicht mitspielen durfte. Eigentlich kann uns wenig bis nichts schockieren was wir hier lesen. Diese gegenseitige Unterstützung ist wichtig und auch dafür bin ich Euch allen sehr dankbar. Doch das Ganze birgt auch eine Gefahr. Denn: Je kränker man ist, je mehr man das mitteilt, desto mehr Trost und Aufmerksamkeit bekommt man. Dahinter steht noch dass diejenigen, die wenig oder nichts von sich erzählen, weil sie sich nicht trauen, viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Das ist aus meiner Sicht nicht zu lösen, logischerweise kann man nur dem antworten der sich öffnet, aber das kommt aus meiner Perspektive heraus eben auch noch mit dazu - nicht diejenigen die am meisten erzählen sind zwingend auch diejenigen, die am meisten Unterstützung bräuchten, auch wenn das so scheinen mag. Vielleicht bräuchte auch genau der, der am meisten hilft und tröstet, die meiste Hilfe (Stichwort Helfersyndrom). Er tut es für andere anstatt seine Kraft in seine eigene Weiterentwicklung zu stecken. Manchmal sind das Phasen die Sinn machen und die man durchlaufen muss - manchmal steckt man aber fest und bemerkt es nicht. Es kann passieren dass sich als Lerneffekt einstellt: je schlechter es mir geht, umso mehr "kriege ich hier" - von dem was ich so dringend brauche und auch früher gebraucht hätte - also muss ich dafür sorgen dass es mir regelmäßig schlecht geht. Ich behaupte dass das nicht einmal ein bewusster und gewollter Vorgang ist, denn das was derjenige haben möchte braucht er ja auch sehr dringend, und so ein traumatisiertes "System" zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es schnell und effektiv lernt und reagiert. Neben der Gefahr dass man vor lauter Freude und Dankbarkeit über die Zuneigung und Aufmerksamkeit nicht bemerkt dass man auf der Stelle tritt und sich nicht weiter entwickelt - denn das was so ein Forumsaustausch bieten kann reicht nie um das Defizit auszugleichen oder gar das Bedürfnis zu stillen - sehe ich zusätzlich die Gefahr dass die hilfsbereiten Mitglieder, die sich gerne anbieten und unterstützend tätig werden, nicht bemerken dass sie Energie investieren die sie eigentlich dringend für sich selbst bräuchten (und die im Ergebnis verpufft, da das "gut fühlen" genau dann vorbei ist wenn die Aufmerksamkeit der anderen nachlässt und ein neues Drama deshalb schon am Wachsen ist – wachsen MUSS -, um scheinbar wieder etwas zu bekommen was man ja tatsächlich braucht). Weiter lenkt es wunderbar von den eigenen Problemen ab wenn man sich um jemand anderen sorgen kann - denn dem scheint es ja viel schlechter zu gehen. Davon dass sich Mitglieder nicht abgrenzen können weil hier ein altes Muster anspringt - und sich vielleicht sogar deren Symptome verschlimmern im Wunsch zu helfen - spreche ich nur am Rande, denn das kann auch ein gutes Übungsfeld sein – nämlich Abgrenzung zu üben. Ist halt so ne Sache wenn man es vielleicht gar nicht bemerkt dass man in eine Dynamik hineingezogen wird. Hier ist Wachsamkeit gefragt. Die Erfahrung, durch Erzählen seiner Geschichte Aufmerksamkeit zu bekommen kann dazu führen dass man Dinge irgendwann nur noch erzählt um Aufmerksamkeit zu bekommen - anstatt den zweiten Schritt zu gehen und sich dann mit der Geschichte auch auseinander zu setzen die man erzählt hat. Genau darum geht es mir. Der erste Schritt ist wohl dass man Vertrauen fasst und sich öffnet. Der mögliche nächste dass man zulassen und aushalten kann dass es Menschen gibt die verstehen, die sich sorgen und die einen annehmen. Die unterstützen wollen und dies bis zu einem gewissen Grad auch können. Dabei ist es auch wichtig die Grenzen einer Selbsthilfeplattform zu erkennen. Der Schritt, der einen weiter bringen kann, ist aber auch: was kann ich wie tun, um an meiner Situation etwas zu verbessern, um meine Traumata soweit das möglich ist ein Stück weit aufzulösen. Was kann ich tun um nicht mehr so bedürftig zu sein. Worum geht es „wirklich“ und kann ich das hier bekommen, oder benutze ich meine Diagnose um so zu bleiben dürfen wie ich jetzt bin? Wie kann ich meiner Geschichte im Heute etwas hinzufügen, und ihr letztlich ein besseres Ende geben? Und auf diesem Weg, Schritt für Schritt, wünsche ich jedem Mitglied hier auch weiterhin Zuneigung, Aufmerksamkeit, mitfühlende Sorge und Achtsamkeit der anderen Forenmitglieder. Ich wünsche mir ein sich gegenseitiges Begleiten. Wo ich kann, tue ich das auch gerne. Wo ich merke, dass die Geschichte nicht weiter geschrieben wird sondern droht lediglich immer wieder neu erzählt zu werden ohne dass eine Entwicklung zu spüren ist, werde ich versuchen achtsam und respektvoll mich zu Wort zu melden und möchte jeden der sich das auch zutraut bitten, das ebenfalls zu tun. Ich möchte allen Mitgliedern danken dass sie hier sind, dass wir uns gegenseitig unterstützen ist so wertvoll. Es beweist auch viel Mut, sich hier anzumelden und zu öffnen. Ich möchte allen Mitgliedern für das Vertrauen danken dass sie mir und dem gesamten Team entgegenbringen. Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Dr. Mück setze ihr hier für alle Interessierten einen Link auf seine Seite, auf der er aus ärztlicher Sicht den sekundären Krankheitsgewinn beleuchtet. An dieser Stelle herzlichen Dank an Golden Tulip, die diesen Link entdeckt hat, und die sich selbst auch viele Gedanken zum Thema gemacht hat *rose* . Golden Tulip wird im Therapie-Forum zu diesem Thema eine Diskussion starten. Wer möchte, kann sich gerne daran beteiligen. Liebe Grüße Amy |