23.10.2012, 20:19
Das Gefühl, ein No-Body zu sein - Depersonalisation, Dissoziation und Trauma
Eine Einführung für Therapeuten und Betroffene (Berit Lukas, 2008)
Ich denke wie folgt darüber (z.T. habe ich andere Rezensionspassagen übernommen, wenn ich es sehr passend fand.):
Es gibt viele psychische Symptome, die recht bekannt sind, jedoch wenige, die weder von den Betroffenen selbst noch von ihren Therapeuten leicht einzuordnen sind.
Dieses Buch handelt von einem solchen Symptom, der Depersonalisationsstörung (DP), bei der sich die Betroffenen nicht mehr als ein "Ich" erleben oder wahrnehmen. Weil dies so ist, ist dieses Buch wichtig. Es erklärt u.a. den Begriff, die Symptomatik und die Auswirkungen sowie mögliche Ursachen und Therapieansätze. Besonders eindrucksvoll sind die Berichte Betroffener im Anhang, die verdeutlichen, wie wenig hierüber bisher bekannt ist. Da die Auswirkungen dieser Störung so gut wie nicht in Worte zu fassen sind und somit für viele unverständlich bleiben, ist es gut, dass endlich der Versuch unternommen wurde, sich der Problematik anhand eines Buches zu nähern. Dies ist meiner Ansicht nach ausgezeichnet gelungen, da alle wesentlichen Aspekte in Bezug auf die Depersonalisation Beachtung finden und gleichzeitig Einblicke in unbekannte Welten der Psyche eröffnet werden. Dieses Buch weckt keine falschen Hoffnungen. Auffallend ist dabei, dass die Betroffenen hier sehr häufig und unverfälscht zu Wort kommen. Der Identifikationsfaktor ist hoch.
Auch wenn der Stil leicht holprig ist und eher an eine Dissertation als an ein Kompendium in einem Publikumsverlag erinnert, so ist es doch meines Erachtens das bisher einzige für Betroffene und Angehörige verständliche Buch. (Ein eventuelles zweites, das ich noch nicht gelesen habe, kam erst im Sep. 2012 auf den Markt - Titel s.u.)
Gerade die Tatsache, seinen Problemen keinen Namen geben zu können und auch die Schwierigkeit, seine Symptome nur schwer beschreiben zu können, macht vielen DP-Kranken zu schaffen: wie sollen sie ihrer Umwelt erklären, dass sie sich wie "Windmenschen" fühlen, durchlässig, sich auflösend? Als außenstehender Zuschauer des eigenen Handelns, als sähe man einen Film? Sich im Spiegel nicht erkennend, sich wie ferngesteuert vorkommend? Dass sie sich wie unter einer Glasglocke oder in dickem Nebel fühlen?
Lukas geht systematisch vor, beginnend mit dem Begriff, den historischen Grundlagen und den Symptomen. Interessant fand ich die Querverweise auf die Literatur (Sartre, Bachmann, Pessoa, Kafka, Rilke, Plath), die immer wieder hier und dort Aspekte der DP aufgegriffen hat. Ausführlich geht die Autorin auf die Auswirkungen der DP auf Denken, Gedächtnis und Sprache ein und schildert das veränderte Körper- und Selbsterleben. Neben den Auslösungsfaktoren (DP ist eine Schutzreaktion des Körpers) werden verschiedene Erklärungsansätze einer Krankheit beleuchtet, deren Erforschung auch 100 Jahre nach ihrer ersten Beschreibung noch am Beginn steht.
Die Autorin hat sich intensiv damit befasst. Dies sieht man an der umfangreichen Literaturliste und an der großen Anzahl von Autoren, die sie zitiert. So bekommt man einen Einblick in verschiedenste Aspekte der DP. Dieses Aufbauen auf Fremdliteratur hat auch Nachteile. Über einige Passagen macht das Buch einen zusammengestückelten Eindruck, wie um Zitate herum aufgebaut - das Buch hat etliche 100 Verweise.
Die Besprechung der DP unter dem Blickwinkel einer Ähnlichkeit zu akzeptierten Trancezuständen finde ich nicht glücklich. Auch daneben finde ich in diesem Zusammenhang dann auch die Aufnahme eines Zitats (S. 220-221), in dem der Autor versucht, den Spieß umzudrehen und gefragt wird, ob nicht die DP als das Normale anzusehen sei und ein Selbst-Gefühl als "abnorm"! Das ist fast schon hirnrissig.
Bei einer Neuauflage wäre es, denke ich, gut, noch mal etwas Arbeit in die Textarbeit zu investieren. Auch die Tatsache, dass das Buch eine Einführung für Betroffene und Therapeuten sein soll, könnte man überprüfen. Unter Umständen gibt es dann ja genügend Material, um daraus zwei Bücher zu machen: eines eher methodisch für Therapeuten und ein zweites mehr praktisch und lebensorientiertes für Betroffene. Dennoch ist die Inklusion hier einigermaßen gelungen.
Gut finde ich gerade den ausführlichen Anhang: die hochinteressanten Berichte von den Betroffenen im Anhang sowie die Hinweise auf Internetadressen, die sich mit dem Thema DP beschäftigen.
----
Ich werde demnächst auch eine Neuerscheinung zu diesem Thema noch lesen: Depersonalisation und Derealisation: Die Entfremdung überwinden. Rat und Hilfe (Rat & Hilfe) - Matthias Michael (Sep. 2012)
(Ihr müsst den Text nicht unbedingt kommentieren. Ist nur dafür, falls jemand Lust hat das Buch zu lesen.)
Eine Einführung für Therapeuten und Betroffene (Berit Lukas, 2008)
Ich denke wie folgt darüber (z.T. habe ich andere Rezensionspassagen übernommen, wenn ich es sehr passend fand.):
Es gibt viele psychische Symptome, die recht bekannt sind, jedoch wenige, die weder von den Betroffenen selbst noch von ihren Therapeuten leicht einzuordnen sind.
Dieses Buch handelt von einem solchen Symptom, der Depersonalisationsstörung (DP), bei der sich die Betroffenen nicht mehr als ein "Ich" erleben oder wahrnehmen. Weil dies so ist, ist dieses Buch wichtig. Es erklärt u.a. den Begriff, die Symptomatik und die Auswirkungen sowie mögliche Ursachen und Therapieansätze. Besonders eindrucksvoll sind die Berichte Betroffener im Anhang, die verdeutlichen, wie wenig hierüber bisher bekannt ist. Da die Auswirkungen dieser Störung so gut wie nicht in Worte zu fassen sind und somit für viele unverständlich bleiben, ist es gut, dass endlich der Versuch unternommen wurde, sich der Problematik anhand eines Buches zu nähern. Dies ist meiner Ansicht nach ausgezeichnet gelungen, da alle wesentlichen Aspekte in Bezug auf die Depersonalisation Beachtung finden und gleichzeitig Einblicke in unbekannte Welten der Psyche eröffnet werden. Dieses Buch weckt keine falschen Hoffnungen. Auffallend ist dabei, dass die Betroffenen hier sehr häufig und unverfälscht zu Wort kommen. Der Identifikationsfaktor ist hoch.
Auch wenn der Stil leicht holprig ist und eher an eine Dissertation als an ein Kompendium in einem Publikumsverlag erinnert, so ist es doch meines Erachtens das bisher einzige für Betroffene und Angehörige verständliche Buch. (Ein eventuelles zweites, das ich noch nicht gelesen habe, kam erst im Sep. 2012 auf den Markt - Titel s.u.)
Gerade die Tatsache, seinen Problemen keinen Namen geben zu können und auch die Schwierigkeit, seine Symptome nur schwer beschreiben zu können, macht vielen DP-Kranken zu schaffen: wie sollen sie ihrer Umwelt erklären, dass sie sich wie "Windmenschen" fühlen, durchlässig, sich auflösend? Als außenstehender Zuschauer des eigenen Handelns, als sähe man einen Film? Sich im Spiegel nicht erkennend, sich wie ferngesteuert vorkommend? Dass sie sich wie unter einer Glasglocke oder in dickem Nebel fühlen?
Lukas geht systematisch vor, beginnend mit dem Begriff, den historischen Grundlagen und den Symptomen. Interessant fand ich die Querverweise auf die Literatur (Sartre, Bachmann, Pessoa, Kafka, Rilke, Plath), die immer wieder hier und dort Aspekte der DP aufgegriffen hat. Ausführlich geht die Autorin auf die Auswirkungen der DP auf Denken, Gedächtnis und Sprache ein und schildert das veränderte Körper- und Selbsterleben. Neben den Auslösungsfaktoren (DP ist eine Schutzreaktion des Körpers) werden verschiedene Erklärungsansätze einer Krankheit beleuchtet, deren Erforschung auch 100 Jahre nach ihrer ersten Beschreibung noch am Beginn steht.
Die Autorin hat sich intensiv damit befasst. Dies sieht man an der umfangreichen Literaturliste und an der großen Anzahl von Autoren, die sie zitiert. So bekommt man einen Einblick in verschiedenste Aspekte der DP. Dieses Aufbauen auf Fremdliteratur hat auch Nachteile. Über einige Passagen macht das Buch einen zusammengestückelten Eindruck, wie um Zitate herum aufgebaut - das Buch hat etliche 100 Verweise.
Die Besprechung der DP unter dem Blickwinkel einer Ähnlichkeit zu akzeptierten Trancezuständen finde ich nicht glücklich. Auch daneben finde ich in diesem Zusammenhang dann auch die Aufnahme eines Zitats (S. 220-221), in dem der Autor versucht, den Spieß umzudrehen und gefragt wird, ob nicht die DP als das Normale anzusehen sei und ein Selbst-Gefühl als "abnorm"! Das ist fast schon hirnrissig.
Bei einer Neuauflage wäre es, denke ich, gut, noch mal etwas Arbeit in die Textarbeit zu investieren. Auch die Tatsache, dass das Buch eine Einführung für Betroffene und Therapeuten sein soll, könnte man überprüfen. Unter Umständen gibt es dann ja genügend Material, um daraus zwei Bücher zu machen: eines eher methodisch für Therapeuten und ein zweites mehr praktisch und lebensorientiertes für Betroffene. Dennoch ist die Inklusion hier einigermaßen gelungen.
Gut finde ich gerade den ausführlichen Anhang: die hochinteressanten Berichte von den Betroffenen im Anhang sowie die Hinweise auf Internetadressen, die sich mit dem Thema DP beschäftigen.
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Ich werde demnächst auch eine Neuerscheinung zu diesem Thema noch lesen: Depersonalisation und Derealisation: Die Entfremdung überwinden. Rat und Hilfe (Rat & Hilfe) - Matthias Michael (Sep. 2012)
(Ihr müsst den Text nicht unbedingt kommentieren. Ist nur dafür, falls jemand Lust hat das Buch zu lesen.)
Der Lebensgeist der Menschen ist so schwer zu läutern und so leicht zu verschmutzen wie eine Schale Wasser. (Lao Tse)
Zen-Weisheiten