verspätete Feststellung von Folgen des Traumas?
#1
Hallo Ihrs,

heute treibt mich eine Frage um...

Ich habe früher mal funktioniert im Sinne von, ohne meine Traumafolgen zu spüren. Es kam gelegentlich mal vor, dass ich erschüttert war. Nur hat es mir nicht so oft den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich behaupte mal, das ich einfach ganz normal gelebt hatte, mit ein paar Extra Macken, die andere nicht hatten.

Heute fand eine meiner Mitarbeiterinnen eine Bemerkung von mir nicht so toll und hat so ein bisschen dagegen protestiert. Mit so einem Laut wie "ähhh". Darf ja jeder, ist okay. Nur, für mich entstand die Frage, ob ich okay bin, ob ich das darf, ob ich mich blöd verhalte. Hat mich wieder Nerven gekostet, bis ich halbwegs gefangen war und nicht mehr glaube, dass es besser ist, mich auf den Scheiterhaufen zu bringen oder so....

Sooooo schlimm war es früher nicht. Ich hab das Gefühl, dass ich viel empfindlicher geworden bin, viel leichter angreifbar, dass mich das viel mehr anstrengt seit meinem Crash.

Wie kann das sein, dass ich als Kind und Jugendliche traumatische Erfahrungen mache, dann mich rausarbeite und lerne zu leben und zu funktionieren und sicher zu sein, und dann nach einem Zusammenbruch alles wieder auf Los geht? Das ich mich wieder so fühle wie als Kind?

Das verstehe ich nicht.
Habt ihr ne Antwort für mich?

LG Göre
Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.    George Bernard Shaw
Zitieren
#2
Liebe Goere,

ich weiß nicht, was für einen Crash Du hattest und wie das bei Dir in der Kindheit und Jungend und bisher in deinem Leben mit dem Verdrängen der Erlebnisse war.
Ich habe ganz lange überhaupt nichts gewusst. Dann kamen irgendwann die ersten Erinnerungen. Damals konnte ich über alles noch reden wie über einen Wetterbericht. Aber in den letzten drei Jahren kamen immer mehr Gefühle dazu. Etwas ganz neues für mich. Ich finde es absolut toll fühlen zu können. Es ist ein absolut anderes und schöneres Leben. Aber es ist neu, es ist fremd und es verunsichert mich oft. Und ja, es macht auch manche Sachen schwerer.
Kein Beispiel aus dem Alltag, aber irgendwann habe ich bemerkt, dass ich anfing angst davor zu haben das noch mehr schlimmer Erinnerungen kommen und ich nicht weiß, wie ich damit zurecht kommen soll. Ich sagte das meinen Therapeutin, dass ich das nicht verstehe, ich hätte doch noch vor 2 Jahren keine Angst vor meinen Erinnerungen gehabt. Ihre Antwort darauf war kurz und knapp: Damals kannten sie noch keine Angst.
Kann es bei dir etwas ähnliches sein? Für eine gute Einschätzung, kenne ich deine Geschichte zu wenig.

Lieben Gruß, tomate
Zitieren
#3
Hi Goere!

Ich habe ein bisschen überlegt, ob ich dazu was schreiben soll, weil ich diese Erfahrung selbst so noch nicht gemacht habe.
Aber meine Thera sagt immer, leben und funktionieren sind oft zwei ganz unterschiedliche Dinge. Das sagt sie zum Beispiel, wenn ich ihr als „Soldatin“ erkläre, dass für mich das Funktionieren über allem anderen steht.
Ich vermute mal, du hast damals vieles verdrängt, vermutlich ganz unbewusst. Hast dich raus gekämpft und ja, das hat gut geklappt und alles...aber innerlich hat es eben doch nicht gepasst, war so eine Art Zeitbombe bis zum Zusammenbruch und dann ist es passiert. Jetzt mit der Therapeutin arbeitest du auf...verdrängst nicht mehr...und dadurch geht das Funktionieren nicht mehr so sehr auf Kommando. Ich weiß nicht, ob ich richtig liege, insofern ist es nur eine Idee.
Die Thera wiederum ist dann aber auch die Möglichkeit, dass es irgendwann wieder so stabil wird wie es war, nur dass dann eben auch innerlich alles „aufgeräumter“ ist.

Im Übrigen finde ich deinen Mut und deine Stärke toll. Ja ;) ...richtig gelesen. Denn du arbeitest auf, während es bei dir derzeit noch eher um den Umgang mit alltäglichen Dingen geht. Denn die Angst, nicht auf Abruf funktionieren zu können, ist bei mir noch viel zu groß, um mich in der Therapie, bildlich gesprochen, „ungesichert aufs Eis bewege!“

Alles Gute dir!

Jo
Zitieren
#4
Hi Ihrs!

Danke fürs Antworten.

@tomate: Ich dachte immer, ich würde nicht verdrängen. Ich wüsste alles aus meiner Kindheit und ich wusste ja auch, dass es nicht shcön war. Ich habe damals gesagt: Das einzig Gute aus der Ehe meiner Eltern waren 3 Kinder. Inzwischen denke ich, ich habe mich geirrt. Es war nichts gut.
Ich hab nur nicht verstanden, was es bedeutet. Erst als mit 36 die Erinnerung an den s*x**ll*n Übergriff kam, kam der Crash.

Ja, das mit der Angst ist so. Ich dachte immer, ich habe keine Angst. Aber jetzt habe ich mehr Ängste als in meiner Kindheit *ironisches lächeln*. Wahrscheinlich, weil ich es zulassen kann. Finde die Aussage deiner Thera gut. Meine fragt mich dann, ob ich mich selbst veräppeln will. Das es früher gut war, weil es weggedrückt war. hab ich nicht verstanden, als sie es gesagt hat. Es arbeitet wohl in mir.

Also ist das wieder eine sogenannte Traumafolgestörung. Das es erst mal schlimmer wird. hmmm.

@jo: ja, Zeitbombe ist da auch so ein Bild, dass passt. *grins* ich dachte bisher immer an nen Schnellkochtopf unter Dampf, aber du bist ja auch Soldat.

Jo, ich fühle mich nicht mutig. Ich will einfach nur weiterkommen.
Und weißt du, ich hab ja auch viele Jahre im sozialen Bereich gearbeitet und viele verschiedene Bücher gelesen und ausprobiert. Bei mir ist dadurch ganz viel da, was verstandesmäßig abgerufen werden kann. Manchmal empfinde ich das schon als Hilfe. Und an die großen Themen habe ich mich erst rangetraut als ich Schule und Ausbildung fertig hatte und halbwegs eine sichere Exsistenz hatte. Vorher, glaub ich, dass es echt auch zuviel wäre.

Ich bin ja erst vor zwei Wochen oder so heftigst getriggert gewesen. Vielleicht sind das noch die Nachwehen. Ich haße es, wenn ich so unsicher reagiere.

Na ja... dann mal weiter.
LG Göre
Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.    George Bernard Shaw
Zitieren
#5
Hallo Goere,

jetzt verstehe ich das mit deinem Crash. o.k. mein Zusammenbruch war mit Mitte Vierzig. Bis dahin dachte ich, ich hätte ein ganz normales Leben. Und bei mir war es auch so, dass ich ziemlich klar auch durch schwierige Situationen durch bin. Und viele Situationen, die für andere schwierig waren, habe ich für mich analysiert, Por und Contra und eine klare Entscheidung getroffen und gar nicht verstanden, warum andere da so ein hin und her von machen. War das bei dir so ähnlich?
Ich kann jetzt gut nachvollziehen was du gemeint hast. Ja, auf einmal reagiere ich auf Situationen. Komme in ihnen nicht mehr zurecht. Da kommen extreme Gefühle und ich kann überhaupt nicht die Relation finden. Was ist normal? Mir hilft es dann immer mit jemanden darüber zu reden, um zu verstehen, war meine Reaktion angemessen? Ist es o.k. so viel Wut jetzt zu haben? Oder ist da "alte" Wut angetriggert? Wie würde man so im allgemeinen auf so eine Situation reagieren. Ich bin sehr verunsichert. Ich finde das oft super schwer. Aber hey, wie soll man auch auf einmal mit den ganzen Gefühlen klar kommen, wenn man fast sein ganzes bisheriges Leben ohne Gefühle unterwegs war? Es ist schwer, aber ich finde es richtig gut jetzt endlich fühlen zu können. Ein Folgeschaden von den Traumatisierungen? Ich denke der Schaden war nicht fühlen zu können und jetzt so durcheinander zu sein gehört zum Heilungsprozess. mmh.. ja irgendwie so.

Lieben Gruß, tomate
Zitieren