02.10.2010, 02:58
Die Grau-Seher
Menschen mit Depressionen erscheint die Welt oft in tristem Nebel. Schuld daran sind nicht nur düsteren Gedanken, sondern auch messbare Veränderungen in der Sehfunktion.
Eine Depression ist wie Krebs für die Seele. Sie zerfrisst Lebensfreude und Energie, Schlaf und Hoffnung. Depressionen verändern aber auch die Wahrnehmung: Farben werden stumpf, Kontraste verwischen. Dass dieses Eindruck nicht nur im Gehirn der Betroffenen entsteht, sondern buchstäblich im Auge des Betrachters liegt, haben nun erstmals Freiburger Wissenschaftler festgestellt - und sogar messen können. "Damit haben wir vielleicht zum ersten Mal einen objektive Messmethode für diesen Gemütszustand gefunden", erklärt Prof. Ludgar Tebartz van Elst von der Universitätsklinik Freiburg im Gespräch mit NetDoktor.de.
EKG im Auge
Für ihren Versuch schlossen die Forscher depressive und gesunde Probanden an eine Art Augen-EKG an, ein sogenanntes Elektroretinogramm. Dabei messen zwei winzige Elektroden die Spannungszustände im Augapfel. Eine Elektrode befestigten die Forscher hinter dem Ohr des Teilnehmers, die zweit platzierten sie in Form eines Metallfadens im Tränensack. "Das ist völlig schmerzlos", versichert der Mediziner von der Abteilung Experimentelle Neuropsychiatrie.
Den so verdrahteten Probanden spielten sie flackernde Schachbrettmuster am Computer vor. Dabei senkten sie schrittweise die Kontraststärke der Muster von klarem Schwarz-Weiß bis hin zu Grau in Grau. Bei jedem Umspringen der Flackerbilder erzeugten die Ganglienzellen der Netzhaut ein messbares Signal. Diese Nervenzellen dienen dazu, die Sinneseindrücke der verschiedenen Sehzellen zu bündeln und ins Gehirn weiterzuleiten.
Zackige Kurven
Der Ausdruck der Messdaten ergab eine gleichmäßige Zickzackkurve - zumindest wenn der Kontrast stark und die Teilnehmer gesund waren. Die Augen der depressiven Teilnehmer sprachen in den meisten Fällen weit weniger stark auf das Flackerbild an. Ihre Zackenkurve (Amplituden) waren schon bei starken Kontrasten weniger markant. Sank der Kontrast, flachten sich die Amplituden schnell bis zum bedeutungslosen Rauschen ab. Ein ähnliches Bild zeigten die gesunden Teilnehmer erst, wenn der Kontrast des Schachbrettmusters kaum noch wahrnehmbar war. Besonders spannend ist: "Je schwerer die Depression, desto mehr Probleme hatten die Probanden, Kontraste wahrzunehmen", erklärt Tebartz van Elst.
Schon in einem früheren Versuch hatten die Wissenschaftler festgestellt, dass depressive Menschen Kontraste sehr viel schlechter wahrnehmen können als Gesunde. Unklar war aber, ob das nicht vielleicht ganz einfach durch ihre mangelnde Konzentrationsfähigkeit bedingt ist. "Erst der aktuelle Versuch hat gezeigt, dass tatsächlich physiologische Prozesse beteiligt sind", erklärt der Forscher.
Dopaminmangel in der Netzhaut
Warum Depressionen das Sehen so massiv beeinflussen, ist indes noch unklar. Immerhin haben die Wissenschaftler eine schlüssige Theorie, die das verblüffende Phänomen erklären könnte. Die Hauptrolle spielt dabei der Botenstoff Dopamin. Häufig ist der Dopamin-Spiegel im Gehirn bei depressiven Menschen besonders niedrig. "Das Auge ist ein Stück ausgestülpten Gehirns", erklärt der Wissenschaftler. Tatsächlich wirkt Dopamin nicht nur im Gehirn, sondern auch im Auge. Insbesondere die Arbeit der Ganglienzellen wird von ihnen beeinflusst. Der Verdacht liegt nahe, dass bei depressiven Menschen ein Dopamin-Mangel im Auge die Ursache für die gestörte Wahrnehmung sein könnte.
Sollte sich der Zusammenhang in weiteren Studien bestätigen, wäre das ein Durchbruch in der Depressionsforschung. Dann ließen sich Depressionen und sogar ihre Schwere per "Augendiagnose" erkennen. Zum ersten Mal würde eine seelische Krankheit objektiv messbar werden. Der Freiburger Forscher sagt schon jetzt: "Das ist mit Abstand das Spannendste, was wir je entdeckt haben."
23.07.2010
http://www.netdoktor.de/Magazin/Depressi...11118.html
Menschen mit Depressionen erscheint die Welt oft in tristem Nebel. Schuld daran sind nicht nur düsteren Gedanken, sondern auch messbare Veränderungen in der Sehfunktion.
Eine Depression ist wie Krebs für die Seele. Sie zerfrisst Lebensfreude und Energie, Schlaf und Hoffnung. Depressionen verändern aber auch die Wahrnehmung: Farben werden stumpf, Kontraste verwischen. Dass dieses Eindruck nicht nur im Gehirn der Betroffenen entsteht, sondern buchstäblich im Auge des Betrachters liegt, haben nun erstmals Freiburger Wissenschaftler festgestellt - und sogar messen können. "Damit haben wir vielleicht zum ersten Mal einen objektive Messmethode für diesen Gemütszustand gefunden", erklärt Prof. Ludgar Tebartz van Elst von der Universitätsklinik Freiburg im Gespräch mit NetDoktor.de.
EKG im Auge
Für ihren Versuch schlossen die Forscher depressive und gesunde Probanden an eine Art Augen-EKG an, ein sogenanntes Elektroretinogramm. Dabei messen zwei winzige Elektroden die Spannungszustände im Augapfel. Eine Elektrode befestigten die Forscher hinter dem Ohr des Teilnehmers, die zweit platzierten sie in Form eines Metallfadens im Tränensack. "Das ist völlig schmerzlos", versichert der Mediziner von der Abteilung Experimentelle Neuropsychiatrie.
Den so verdrahteten Probanden spielten sie flackernde Schachbrettmuster am Computer vor. Dabei senkten sie schrittweise die Kontraststärke der Muster von klarem Schwarz-Weiß bis hin zu Grau in Grau. Bei jedem Umspringen der Flackerbilder erzeugten die Ganglienzellen der Netzhaut ein messbares Signal. Diese Nervenzellen dienen dazu, die Sinneseindrücke der verschiedenen Sehzellen zu bündeln und ins Gehirn weiterzuleiten.
Zackige Kurven
Der Ausdruck der Messdaten ergab eine gleichmäßige Zickzackkurve - zumindest wenn der Kontrast stark und die Teilnehmer gesund waren. Die Augen der depressiven Teilnehmer sprachen in den meisten Fällen weit weniger stark auf das Flackerbild an. Ihre Zackenkurve (Amplituden) waren schon bei starken Kontrasten weniger markant. Sank der Kontrast, flachten sich die Amplituden schnell bis zum bedeutungslosen Rauschen ab. Ein ähnliches Bild zeigten die gesunden Teilnehmer erst, wenn der Kontrast des Schachbrettmusters kaum noch wahrnehmbar war. Besonders spannend ist: "Je schwerer die Depression, desto mehr Probleme hatten die Probanden, Kontraste wahrzunehmen", erklärt Tebartz van Elst.
Schon in einem früheren Versuch hatten die Wissenschaftler festgestellt, dass depressive Menschen Kontraste sehr viel schlechter wahrnehmen können als Gesunde. Unklar war aber, ob das nicht vielleicht ganz einfach durch ihre mangelnde Konzentrationsfähigkeit bedingt ist. "Erst der aktuelle Versuch hat gezeigt, dass tatsächlich physiologische Prozesse beteiligt sind", erklärt der Forscher.
Dopaminmangel in der Netzhaut
Warum Depressionen das Sehen so massiv beeinflussen, ist indes noch unklar. Immerhin haben die Wissenschaftler eine schlüssige Theorie, die das verblüffende Phänomen erklären könnte. Die Hauptrolle spielt dabei der Botenstoff Dopamin. Häufig ist der Dopamin-Spiegel im Gehirn bei depressiven Menschen besonders niedrig. "Das Auge ist ein Stück ausgestülpten Gehirns", erklärt der Wissenschaftler. Tatsächlich wirkt Dopamin nicht nur im Gehirn, sondern auch im Auge. Insbesondere die Arbeit der Ganglienzellen wird von ihnen beeinflusst. Der Verdacht liegt nahe, dass bei depressiven Menschen ein Dopamin-Mangel im Auge die Ursache für die gestörte Wahrnehmung sein könnte.
Sollte sich der Zusammenhang in weiteren Studien bestätigen, wäre das ein Durchbruch in der Depressionsforschung. Dann ließen sich Depressionen und sogar ihre Schwere per "Augendiagnose" erkennen. Zum ersten Mal würde eine seelische Krankheit objektiv messbar werden. Der Freiburger Forscher sagt schon jetzt: "Das ist mit Abstand das Spannendste, was wir je entdeckt haben."
23.07.2010
http://www.netdoktor.de/Magazin/Depressi...11118.html
Jedenfalls ist es besser ein eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts. (Friedrich Hebbel)