Sprache ohne Worte: Wie unser Körper Trauma verarbeitet
#11
Hier nun also die vollständige Rezension, nachdem ich das komplette Buch durch habe:

Im Buch "Sprache ohne Worte" geht es darum, einen Weg nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen und über den Körper zu beschreiten, ein Trauma zum Abschluss zu bringen.

Peter Levine, der hier anschaulich, detailbesessen und mitunter sehr persönlich von seiner Forschung und seinen klinischen Erfahrungen berichtet und sie mit Neurobiologie, Psychologie und Verhaltensforschung verknüpft. Auf den Seiten erfährt man viel Allgemeines über den Körper, was man größtenteils als bekannt voraussetzen dürfte, aber die Vorbildung der Leser ist sicher unterschiedlich.

Ein Trauma, so Levine, ist das Ergebnis eines überlebenswichtigen, aber fehlgeleiteten Selbstschutzsystems. Der Körper bleibt - wenn ihm kein Ausweg geboten wird - gefangen, in der Reaktion auf die traumatisierende Situation. Levine selbst erlebte, was das heißt: Er wurde von einem Auto angefahren, flog in die Windschutzscheibe und dann auf die Straße. Erst als eine Frau sich zu ihm setzte und seine Hand hielt, löste sich sein erstarrtes Entsetzen. Zitternd und bebend konnte er seine Wut auf die Autofahrerin spüren und damit verhindern, dass sich ein Trauma langfristig etablierte.

Finden Menschen nach einem traumatischen Erlebnis keinen Weg, ihre Gefühle nach außen dringen zu lassen, bleiben sie gefangen in ihrer Furcht, ihrer Hilflosigkeit und ihrer Angst oder Erstarrung. Levine spricht hier von einer biologischen Reaktion, die auch Tiere erleben. Wird ein Opossum von einem Fuchs bedroht, stellt es sich tot. Hat der Fuchs von ihm abgelassen, zittert und schüttelt sich das Opossum und rennt dann los. Wenn Menschen dagegen ein Trauma nicht verarbeiten, hängen sie fest. Erinnert sie ein Geräusch an die traumatisierende Situation, verfallen sie automatisch in ihre damalige Reaktion: Sie schwitzen, ihr Herz rast, sie erstarren. Und genau das, gilt es zu überwinden.

Anhand mehrerer, anschaulich erzählter Fallgeschichten erläutert Levine, in welcher Weise der Körper von seinem Trauma erzählt und was man zur Genesung beitragen kann: Wohldosiert die ängstigenden Körperempfindungen spüren, sie von ängstigenden Gedanken trennen, körperlich aufmerksam registrieren und durchleben, damit man unabgeschlossene Handlungsimpulse und Wellen der Erregung aus der traumatisierenden Situation zum Abschluss bringen kann. Und zwar in Form eines selbst gesteuerten, kontrollierten Erlebens, bei dem man mit therapeutischer Hilfe heftige Gefühle auszuhalten lernt, ohne Impulse dramatisch auszuleben, was andernfalls sonst vielleicht zu einer Retraumatisierung führen könnte.

Unterfüttert wird Levines These mit wissenschaftlicher Grundlagenforschung. Im letzten Drittel des Buches jedoch verliert er sich etwas in allgemeinen Ausführungen zur Verbindung von Körper und Geist, den Funktionen der Emotionen und wiederholt sich an manchen Stellen fast wörtlich. Trotzdem liest man dieses Buch mit Gewinn. Indem Levine zeigt, wie sich eine traumatische Erfahrung durch ein gewahr werden der inneren Empfindungen aus der schrecklichen Situation auflösen lässt, macht er auch Mut: Wem es gelingt sein Trauma zu verarbeiten, der gewinnt nicht nur sein Leben zurück, sondern neue Stärke hinzu.

Besonders hervorheben möchte ich, dass sich Levine in seinem Buch auch ausführlich mit dem chronischen Trauma und der Dissoziation beschäftigt und er zeigt auch die Unterschiede zum Akuttrauma auf:

Zitat:Bei stark traumatisierten, chronisch vernachlässigten oder missbrauchten Menschen dominiert das System der Immobilisation/Abschalten. Andererseits dominiert bei akut traumatisierten Personen (durch ein einzelnes Ereignis ohne Vorgeschichte [...]) oft das sympathische System von Angriff/Flucht. Sie leiden häufig unter Flash-Backs und Herzrasen, während chronisch traumatisierte [...] im allg. eine erhöhte oder eine verlangsamte Herzfrequenz zeigen. Diese Menschen leiden meist an quälenden dissoziativen Symptomen, [...] Tagträumen, einem Gefühl von Unwirklichkeit, Depersonalisierung und zahlreiche somatische und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zu den somatischen Symptomen gehören z.B. Magen-Darm-Beschwerden, Migräne, bestimmte Formen von Asthma, chronische Schmerzen, chronische Erschöpfung und generelle Distanz zum Leben.

Außerdem schreibt er, dass besonders viel Erfahrung und Geschick notwendig ist, um Traumata bei stark dissoziativen Klieneten aufzulösen und was dabei Beachtung finden muss.

Manche einfühlsam geschilderten Beispiele mit Klienten, die er exemplarisch anführt, können unsereins auch ein wenig antriggern. Ich konnte deswegen nicht das ganze Buch mit über 400 S. am Stück durchlesen.

Was hängen bleibt, dass Traumatisierung an sich in erster Linie ein rein körperliches Geschehen ist und alles andere dem dann lediglich nachfolgt.

Trotz der Wiederholungen und einigen Längen ein empfehlenswertes Buch, wenn man Traumatisierung nicht nur verstehen will, sondern auch mehr Verständnis für sich selbst gewinnen möchte. Was ich auch wichtig finde, dass das Buch aufzeigt, was in der Therapie mit in Körperarbeit erfahrenen Therapeuten vor sich geht und erreicht werden soll.

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(Womöglich ist es sogar so, dass es in absehbarer Zeit so sein wird, dass man zumindest bei der Behandlung von chronischer Traumatisierung nicht mehr auf die Körperarbeit wird verzichten können. Beim Akuttrauma funktionieren andere Methoden, wie EMDR, die aber ja auch schon über den Körper laufen auch sehr gut. Bei starker Dissoziation hat EMDR dagegen kaum Sinn.)

Ich selbst habe z.B. gedacht: "Ich glaub meine Thera arbeitet in dieser Hinsicht sehr nachvollziehbar und total gut, was z.B.auch den enormen Grad der Aufmerksamkeit angeht, den sie dabei aufzubringen fähig ist.

Der Lebensgeist der Menschen ist so schwer zu läutern und so leicht zu verschmutzen wie eine Schale Wasser. (Lao Tse)


Zen-Weisheiten
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